Franz Hebenstreit

*26.11.1747 Prag (Böhmen) †8.1.1795 am Schottentor (Wien, Österreich)

Homo hominibus - Mensch unter Menschen

Franz Hebenstreit von Streitenfeld war erst Student, dann Soldat, am Ende Freimaurer und Visionär. Von seinem Gefährten Andreas Riedel, einem engen Berater des K&K-Kurzzeitmonarchen Leopold II., wurde er freundschaftlich "Kommunist" genannt. Kein geläufiger Begriff anno 1793/94, aber durchaus zutreffend, denn in seiner Schrift Homo hominibus - Mensch unter Menschen - beklagte er nicht nur den Ist-Zustand der Gesellschaft seiner Zeit, sondern formulierte auch Möglichkeiten, jene zu einer besseren zu machen, eine Welt zu gestalten, die allen Menschen einen gerechten Anteil an allen Gütern sichern sollte. Nun, es sollte nicht so kommen. Franz Hebenstreit wurde wegen seiner Überzeugung gehenkt, doch dazu später.

`s ist ja das Volk kein Arschpapier

Wer sich heute für die Zurschaustellung grausamerer Erscheinungsformen menschlicher Existenz interessiert, wird früher oder später den Weg ins "Wiener Kriminalmuseum" finden. Dieses Sammelsurium (sic!) der abgründigen österreichischen Seele verlässt niemand ungerührt, ist doch die Aufbereitung der Materie weniger der Wissenschaft, als dem Wienerischen Hang zu Blut und Durst nach Moritaten verpflichtet. Bis vor gar nicht langer Zeit lockte ein recht schaurig-geschmackloses Objekt ins Haus in der Großen Sperlgasse 24: der Kopf jenes Franz Hebenstreit von Streitenfeld, serviert auf einem Tablett, geschützt vor allzu neugierigen Fingern von einem Glassturz, einer Käseglocke gleich. Was hat er bloß angestellt, dieser Franz Hebenstreit, dass ihm bis in unsere Zeit die ungestörte Totenruhe verweigert wurde? Der Leiter des genannten "Museums" gibt sich, dazu befragt, zugeknöpft.

Sein Leben begann Hebenstreit am 26.11.1747 in Prag als Sohn eines Professors der Philosophie und einer Mutter, die die Hausarbeit bewältigte. Elternhaus und materieller Wohlstand ließen eine akademische Laufbahn erwarten; und die schlug er zunächst auch ein, als er begann Philosophie und Rechtskunde zu studieren. Im Alter von 19, 20 jedoch trat er dem Ulanenregiment der K&K Armee bei. Warum er dies tat, bleibt ungeklärt. Die soldatische Befehlszwangserkrankung hatte ihn nun einige Jahre eisern im Griff, bis er sich 1773 im Alter von 26 für die Desertion entschied. Die Folgen der Bostoner Teaparty dürften ihn dazu inspiriert haben, nach Nordamerika auszuwandern und an der Revolution gegen das englische Regime teilzunehmen. Marodierende preußische Menschenjäger vereitelten dieses Vorhaben durch Zwangsrekrutierung und Hebenstreit sah sich vom Regen der K&K Armee in die Traufe preußischer Willensvernichtung geprügelt. Fünf lange Jahre dauerte es, bis ihm die Flucht gelang. Die Amerikaner brauchten ihn mittlerweile nicht mehr, also kehrte er heim ins Habsburgische Österreich, wo ihm nach einem Militärverfahren Amnestie erteilt und die Gelegenheit gegeben wurde, seine Laufbahn bis zum Wiener Platzoberleutnant fortzusetzen.

In den Jahren 1792 bis 1793 schrieb Hebenstreit an seinem Werk Homo hominibus, welches in lateinischen Hexametern verfasst, in den Freimaurerlogen dieser Zeit kursierte. Druckfertig publiziert wurde es nicht, denn nach den Ereignissen in Frankreich 1789 wurde in Österreich die Zensur wieder eingeführt. Der späte Joseph II. schränkte manche seiner Reformvorhaben wieder ein. Aufklärerische Ideen wurden nach dem Sturm auf die Bastille mit anderen Augen gesehen. Die Logen wurden durch ein Freimaurerpatent geknebelt und zum investigativen Spitzeltreff des unter Leopolds II. Sohn und Nachfolger Franz II. zum Polizeichef avancierten Grafen Saurau degeneriert. Der ewige Sohn Franz II. machte sich vor den Franzosen und deren Revolution in die Hosen und restaurierte einen Absolutismus, dem er selbst nicht wirklich gewachsen schien. Dem revolutionären Frankreich wollte er Bedingungen diktieren, die nur zum Krieg führen konnten, dem letzten Mittel aller politischen Hilflosigkeit. Nur um das mal klarzustellen: Kriegsrecht erweitert den Handlungsspielraum totalitärer Lackel immer enorm. Aufklärerische Ideen gerieten zu Hoch- und Landesverrat. So fielen Franz Hebenstreit und Andreas Riedel samt ihren Reformideen und Gesinnungsfreunden beim neuen Kaiser in Ungnade. Wurden kriminalisiert. Ihr intellektueller Kreis wurde als "Wiener Jakobinismus" verbrämt und verurteilt. Es wurde gefährlich, offen zu sprechen. Wer war ein Spitzel und wer nicht? Vertrauen konnte das Leben kosten: Zwangsarbeit in Festungshaft für Zivilisten, denn die allgemeine Todesstrafe war noch nicht wieder eingeführt. Franz Hebenstreit als Militär drohte allerdings die Todesstrafe. Nichtsdestotrotz hielten er und seine Gesinnungsfreunde bis zu ihrer Verhaftung einen Umschwung für möglich. Aus heutiger Sicht eine sehr naive Vorstellung.

Für das Kaiserhaus stand nur bald fest: Alle Reformer müssen weg. Und zwar in jeder Hinsicht. Im Juli 1794 war es dann soweit. Insbesondere die Spitzelberichte eines Joseph Vinzenz Degen, der Hebenstreit bei verschiedenen Treffen aushorchen konnte, führten zu einer Verhaftungswelle. Der Denunziant Degen, der später quasi zur Belohnung zum Leiter der österreichischen Staatsdruckerei befördert wurde, entlockte Hebenstreit nicht nur seine Gesinnung; er brachte diesen auch dazu, von einer Kriegsmaschine zu erzählen, die er erfunden und deren Pläne er per Kurier nach Frankreich habe schmuggeln lassen. Dabei soll es sich um eine Art Streitwagen, dessen Räder mit rotierenden Klingen ausgestattet waren, gehandelt haben. Das klingt nun nicht wirklich rasend "neu", doch in den Augen der hypernervösen K&K Restauration roch sowieso alles außerhalb der Hofburg nach Revolution. Darüberhinaus scheint Degen die erhobenen "Fakten" noch einer ausgiebigen Interpretation unterzogen zu haben, ehe er seine Berichte an Saurau niederschrieb; d.h. nach heutigem historischen Wissensstand lieferte Degen solche Informationen, die erwartet wurden, um gegen Hebenstreit und sein Umfeld überhaupt vorgehen zu können. Nach Historikern wie Körner und Franz Josef Schuh, der Hebenstreits Homo Hominibus 1970 erstmals ins Deutsche übertrug, ist es bis heute nicht so wirklich klar, worauf die Gruppe um Hebenstreit und Riedel wirklich hinauswollte. Schon viel weniger deutlich zeigen sich die Mittel, zu denen sie bereit gewesen wären. Nirgendwo konnten Hinweise auf einen geplanten bewaffneten Aufstand gegen die Monarchie ausgemacht werden. Im Gegenteil arbeitete Riedel an einem Verfassungsentwurf für eine konstitutionelle Monarchie. Eine Abschaffung derselben, wie sie in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts verlief, schien nicht wirklich angedacht, lediglich eine Stärkung der nicht-adeligen Bevölkerung wurde als Wunsch formuliert. Überhaupt mag zwar Hebenstreit Degen gegenüber anzudeuten versucht haben, dass eine Mehrheit Österreichs hinter ihren Ideen stünde. Nichtsdestotrotz scheint heute außer Zweifel zu stehen, dass mit den ungerechten Urteilen der Jahre 1794-1795 nicht tatsächlicher Umsturzwille und -vorhaben, sondern lediglich eine aufgeklärte Gesinnung im Keim erstickt werden sollte, eine Gesinnung, die zum damaligen Zeitpunkt den Kreis von intellektuellen Salons und Freimaurerlogen gar nie verlassen hatte. Das immer wieder herbeizitierte "Volk" dürfte vom Großteil dieser Ideen nichts mitbekommen haben. Wie oben schon gesagt: Hebenstreits Homo hominibus war in lateinischen Hexametern verfasst worden, in dem so schöne Sätze wie "pro misero lex nulla viget", will heißen: "für den Armen lebt nie ein Gesetz" (F.J. Schuh) niedergeschrieben standen; und Latein mag damals eine der Amtssprachen gewesen sein, aber der Großteil der Bevölkerung konnte solchen Versen nicht folgen. Der kannte bloß Pamphlete und Lieder wie das "Eipeldauerlied" (s.u.), die damals fleißig unters "Volk" gebracht werden konnten; doch mehr als eine Flucht in den Galgenhumor war dies für die meisten kaum. Und ein Auslöser zum Revoltieren sicher nicht.

Was also hat er denn nun wirklich angestellt, der Herr Hebenstreit von Streitenfeld, dass ihm, um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, bis ins Jahr 2010 die Totenruhe verweigert wurde?Nun, es scheint, dass er zu laut von einer besseren Welt geträumt hat, zu einer Zeit, als im Hause Habsburg die Angst umging vor dem Gespenst der guillotinierenden Franzosen. Und, da es diese in Wien nun einmal nicht gab, mussten sie erfunden werden, die "Wiener Jakobiner", um eine Politik zu legitimieren, die sich so weit verabsolutiert hatte, dass sie eine Strickleiter gebraucht hätte, um sich den Arsch zu wischen. Zum Glück war da ja noch das "Volk", das ihr diese Arbeit abnahm, ein Leben lang, solange die Herrschaft für gediegene Unterhaltung sorgte: Hebenstreits Hinrichtung durch den Strang am Schottentor sollen an die 90.000 Menschen mitverfolgt haben. So viele passen heute nicht einmal ins Happelstadium, nur mal so nebenbei.

Nachtrag: Franz Hebenstreit und die übrigen wurden nicht nur verurteilt und bestraft, sondern auch aus der Geschichtsschreibung getilgt. Alle Unterlagen zu den Wiener Jakobinern landeten in Geheimarchiven, die erst nach dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie der Forschung zugänglich wurden. Ausrottung durch Zensur des Wissens.


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