Gino Bartali

*18.7.1914 Ponte a Ema (Italien) †5.5.2000 Ponte a Ema (Italien)

Gino Bartali ist eine der berühmtesten Radfahrlegenden der Sportgeschichte, dessen wahre menschliche Größe jedoch erst nach seinem Tod bekannt wird. Als Sportler gewinnt er, obwohl ihm der Weltkrieg seine besten Rennfahrerjahre raubt, als herausragende Leistung drei Mal den „Giro d`Italia“ und zwei Mal die „Tour de France“. Seine größte Leistung vollbringt er allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit - im von Nazideutschland besetzten Italien rettet er hunderte Menschenleben.

Sono solo un ciclista

Als Kind einer ärmlichen, in den Vororten von Florenz lebenden Tagelöhnerfamilie, muss Gino rasch lernen, dem Hunger zu entfliehen. Die Schule bricht er bald ab und arbeitet bereits als 13jähriger in einer Fahrradwerkstatt. Daneben fährt er mit Giulio, seinem über alle Maßen geliebten jüngeren Bruder, die Hügel und Berge des Apennins auf und ab. Während andere bei schwierigen Passagen aus dem Sattel steigen, bleibt er sitzen und schaltet ein paar Gänge rauf - der Keim zu seinen späteren Erfolgen ist gelegt.

1935 wird Bartoli 21jährig zum Radprofi, im Jahr darauf schon italienischer Meister. Seine körperliche Robustheit, seine, vor allem in den schwersten Bergetappen vorgetragenen Scheinattacken und Gegnerzermürbungen werden bald zur Legende, er selbst zum „Ginettaccio“, dem „Gino dem Schrecklichen“. Als sein Bruder Giulio 1936 bei einem Unfall stirbt, will er die Karriere an den Nagel hängen. Gino ist streng gläubig und sucht, ein ohnehin wortkarger Asket, die Ruhe und Kraft in innerer Einkehr. Als er diese nach vielem Zweifeln über seine sportliche Zukunft beenden kann, kommt er gestärkt hervor und gewinnt noch im selben Jahr den Giro d`Italia. Diesen Erfolg kann er 1937 wiederholen. Die Zeiten stehen in Europa aber schon seit langem auf Sturm. Das faschistische Italien hat mit Ach und Krach in den Jahren davor das Königreich Abessinien annektieren können. Nach Innen wird die vermeintlich überlegene Rasse der Italiener zur Staatsdoktrin, sportliche Erfolge sollen dabei gute Argumente liefern. Gino Bartali widmet seine Siege jedoch nicht, wie ausdrücklich gewünscht, dem „Duce“, sondern der „Jungfrau Maria“. Seine unermessliche Popularität im fahrradverrückten Italien bewahrt ihn vor Verfolgung. Minder bekannte Fahrer werden für ähnliche oder bereits geringere „Vergehen“ schon mal tot im Straßengraben gefunden. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, wird Bartali eingezogen und verrichtet innerhalb der Armee Kurierdienste auf dem Rad. Der Umgang mit der Waffe ist ihm ein Graus, und er muss ihn nicht ausüben. Kurz nach der Landung der Alliierten auf Sizilien im Juli 1943 wird Mussolini abgesetzt, keine zwei Monate später übernimmt Nazideutschland die Herrschaft über Italien. Die bis dahin nicht in großem Ausmaß stattgefundene Judenverfolgung nimmt innerhalb kürzester Zeit extreme Formen an. Bartali wird, und das wird erst nach seinem Tod bekannt, auf Bitten des mit ihm befreundeten Bischofs von Florenz Teil eines Rettungsrings für verfolgte italienische Juden und Jüdinnen. Als Teil dieses „Netzwerks von Assissi“, das tausende Leben retten kann, wird Gino Bartali als Kurier und Schmuggler von Fotos und gefälschten Ausweisen eingesetzt. Er tarnt seine bis zu 350km weiten Reisen, die ihn von Florenz nach Assissi, Rom oder Genua führen, als Trainingsausfahrten. Seine Bekanntheit schützt ihn vor aufdringlichen Fragen und Durchsuchungen, bei Straßenkontrollen wird und will er erkannt werden. Die versteckten Materialien im Sattel und Lenker des Rennrads bleiben stets unangetastet („Bitte die Feinjustierung am Rad bloß nicht verändern!“). Er nutzt seine Bekanntheit immer wieder, um die Aufmerksamkeit, auch und vor allem jene der Soldaten und Gendarmen, auf sich zu ziehen, um von den an wichtigen Bahnknotenpunkten umsteigenden WiderstandskämpferInnen und JüdInnen abzulenken. Bartali hat viel zu verlieren - außer seiner Karriere und seinem Leben auch das seiner Familie. Im Keller seines Hauses versteckt er die aus Rijeka geflüchtete, befreundete jüdische Familie Goldenberg. All dies bringt ihm posthum die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“, einen Ehrentitel, den Israel zumeist wenig bekannten nichtjüdischen Einzelpersonen verleiht, die ihr Leben auf das Spiel setzten, um Juden und Jüdinnen während des Zweiten Weltkriegs vor Ermordung zu retten. Bartali hat von alldem zeitlebens kaum bis gar nichts Preis gegeben. Seinem Sohn verrät er auf Drängen manche Episode, aber bei weitem nicht alle seine illegalen Tätigkeiten. Die guten Taten mögen aus einem selbst kommen und im Stillen erledigt werden, meinte Bartali. Sich damit zu schmücken, würde die eigentlichen Opfer schmähen. Die wahren Helden wären jene, die leiden mussten, er selbst wäre nur ein Fahrradfahrer. Das wahre Ausmaß seiner Aktivitäten wird somit wohl nie ans Licht kommen. Dokumente des klandestinen Netzwerks gibt es nicht, die handelnden Personen sind schon alle tot. Nach zehnjährigem Abstand gewinnt Bartali 1948 zum zweiten Mal das prestigeträchtigste Radrennen der Welt, die Tour de France. Dies ist weder vorher noch nachher einem Fahrer in so einer großen Zeitspanne gelungen. Inzwischen wird er „il vecchio“, der Alte, genannt. Seine Konkurrenten aus der Vorkriegszeit nehmen an der Tour zumeist nicht mehr teil, viele sind in den Wirren des Weltkriegs umgekommen. Die junge Generation rückt nach, Bartali muss und wird aus sich herauswachsen. 1948 ist auch das Jahr, in dem Italien kurz vor dem Bürgerkrieg steht. Bartali, oft schmunzelnd „radelnder Mönch“ genannt, mag zwar ein Freund des Vatikans und streng gläubiger Christ sein, aber seine Persönlichkeit und Aufrichtigkeit überstrahlt dies dermaßen, dass er sogar von radikalen Linken respektiert und anerkannt wird. Der christdemokratische Politiker Alcide de Gasperi bittet Bartali inbrünstig, für das Wohl und die Einigkeit des Landes die Tour zu gewinnen. Bartali erwidert, dass er es gerne für Italien, aber nicht für die Christdemokratische Partei tun wird - er stünde nämlich dem Generalsekretär der kommunistischen Partei, Palmiro Togliatti, näher. Kurz vor Tourende wird in der Heimat jedoch eben dieser Togliatti angeschossen. Sein Leben und der Frieden Italiens stehen an der Kippe. Die ersten Worte des Oppositionsführers nach der Notoperation sind nicht Erkundungen nach dem Generalstreik, sondern dem Endstand in der Tour de France... Bella Italia!


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