Mahala Mullins

* 30.3.1824 Sneedville, Tennessee †10.9.1898 Sneedville, Tennessee Gebiet: Tennessee (USA)

Mahala Mullins ist eine der berühmtesten Whiskey-Schwarzbrennerinnen der Appalachen des ausgehenden 19. Jhdts. Was ihre Geschichte so spannend macht, ist die Tatsache, dass sie sich jahrelang jeglicher Verhaftung entziehen kann: ihre durch einen Lymphstau hervorgerufene abnorme Körpervergrößerung, Elefantiasis genannt, die sie auf über 200 kg Gewicht anwachsen lässt, und der Umstand, dass sie in einer an einem Berghang gelegenen, schwer zugänglichen Hütte lebt, machen sie vor jedem gesetzlichen Zugriff sicher.

Take me if you can

Ihre Brennutensilien können beschlagnahmt oder an Ort und Stelle vernichtet werden, sie selbst jedoch wegen ihres Körperumfangs nicht einmal aus ihrer Hütte gebracht, geschweige denn in die nächstgelegene Arrestzelle überführt werden. Die Mauern einzureißen haben die Gesetzeshüter keine Befugnis.

Und so sitzt diese Frau jahrelang tagein tagaus in einem Sessel innerhalb ihrer vier Wände, wartet auf Kundschaft für ihren exzellenten, aus Apfel und Pfirsich gebrannten Whiskey, und fordert die in regelmäßigen Abständen erscheinenden Sheriffs und Deputies mit einem frechen Lächeln auf, doch nun endlich dem Recht zu entsprechen und sie mitzunehmen, da sie sich, wie sie sagt, ja auch selbst im Sinn der Anklage als schuldig empfindet... Take me if you can! Mahala Mullins, eine Frau, die ihr Leben lang nicht weiter als 3 km von ihrer Hütte weg kommt, die niemals ein Dorf betritt oder die in 20 km entfernte Eisenbahnstrecke mit eigenen Augen sieht, wird bereits zu ihren Lebzeiten zur Legende.

Sie wird gegen Ende ihres Lebens zunehmend von Reportern besucht, die ihren Körper auf über 220 cm und 300 kg hinaufdichten. Sie erzählt ihnen aus erster Hand, wie es ist, in Tennessee ein „Melungeon“ zu sein. Als Melungeons werden im Südosten der USA Menschen „dreirassigen“ Ursprungs benannt – eine Mischung aus den die Gegend ursprünglich bewohnenden Cherokees, gestrandeten Portugiesen/Spaniern/Engländern und (entflohenen) schwarzafrikanischen Sklaven. Sogar die Herkunft des Wortes bliebt ein Rätsel. Melungeon kann aus dem Französischen kommen und „Mischung“ (mélange) bedeuten – zum ersten Mal „entdeckt“ wird die Kolonie 1784 auch tatsächlich durch die Franzosen. Die Melungeons behaupten zu diesem Zeitpunkt von sich selbst, Abkömmlinge gemeuterter portugiesischer Seefahrer zu sein. Das Wort kann auch aus dem im Englischen nicht mehr gebräuchlichen „malengin“ bzw. „mal engin“ stammen, was so viel wie „feindselige Leute“ und „böse Täuschung“ bedeutet. Als dritte Möglichkeit bietet sich auch das afro-portugiesische „melungo“, das „Schiffskollege“ und „Gefährte“ bedeutet. Wie auch immer, diese Menschen bleiben isoliert, heiraten bis ins 20. Jhdt. zumeist untereinander und fristen in der Regel ein ziemlich karges Dasein. Mit Glück werden sie je nach Rechtssprechung als „Weiße“ anerkannt und entgehen direkten rassistischen Übergriffen. Als Dank dürfen sie Steuern zahlen und in die Armee einrücken. Der soziale Standard bleibt weitgehend auf tiefstem Level.

So ist auch das Leben der Familie Mullins von Entbehrung gekennzeichnet. Außer moonshine, also Schwarzbrennen, welches in den USA seit 1791 verboten ist, bleibt der Familie nicht viel übrig, um dem Hungertod zu entgehen. Mahala Mullins ist 20-fache Mutter, wobei vier Kinder bereits früh nach der Geburt sterben und drei weitere noch vor ihrem eigenen Tod Opfer von Gewalt werden – ein Sohn wird im heimatlichen Sneedville, ein anderer im eigenen Garten erschossen, der dritte in, no na, Texas gelyncht. Gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann liegen die meisten ihrer Liebsten unweit der Blockhütte, die eher zwei als mehr als einem Dutzend Menschen Platz bietet, begraben. Die allseits beliebte Mahala, Haley genannt, ist mittlerweile derart angewachsen, dass sie ihr Haus nicht mehr verlassen kann. Selbst das Gehen, Stehen und Liegen sind ihr unmöglich geworden. So sitzt sie in ihrem immensen Bett, um das herum ihr schlussendlich auch der Sarg gezimmert werden wird, neben einem Kessel voller Schnaps und wartet auf Besuch. Früher hätte sie, da die Grenze zwischen Tennessee und Virginia mitten durch die Hütte verläuft, noch die Finanzbeamten genarrt und wäre von einem Bundesstaat zum nächsten gerückt, wenn eine Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung bevorstand. Aber auch jetzt ist ihr nicht beizukommen, sie ist einfach nicht transportfähig. So behauptet einmal ein Sheriff, sie wäre „catchable but not fetchable“ - man kann sie fangen, aber nicht abholen. Einerseits müsste man, wenn erst einmal eine Wand eingerissen wurde, mindestens sechs Personen aus dem Haus schaffen, diese dann den steilen Hang, an dem es keinen Weg gibt, hinunter tragen und dann sind da noch weitere 20 km Fußmarsch bis zur nächsten Bahnstation. Somit begnügen sich die Ordnungshüter mit regelmäßigen Besuchen und zerstören bei diesen Gelegenheiten alles, was sie als zum Schwarzbrennen geeignet einschätzen. Mahala kümmert das wenig, sie hat schon Schlimmeres hinter sich.

Egal wie umfangreich ihr Körper nun tatsächlich gewesen sein mag und egal wie vorzüglich ein auf diesem Level hergestellter Whiskey tatsächlich geschmeckt haben kann, den Leuten im Hancock County blieb vor allem ein Teil ihres Körpers in Erinnerung – ihr übergroßes Herz.


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