Ned Ludd & Cpt. Swing
Ned Ludd (links): * um 1800 Leicester & Nottingham (England) Captain Swing (rechts): * um 1830 Kent (England) Gebiet: England
Sowohl Ned Ludd als auch Captain Swing sind fiktive Personen, die im Zuge sozialer Unruhen in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts federführend am Zertrümmern neu erfundener industrieller Maschinen wirken. Während Ned Ludd zumindest einer realen Person zugeordnet werden kann, ist Captain Swing eine durch und durch erfundene Figur.
Shirt
Galerie
Ned Ludd
Captain Swing
Frühe Indsustrielle Revolution in der Textilverarbeitung
"Machine breaking", der Maschinensturm als Folge der Frühindustrialisierung und der daraus resultierenden sozialen Deklassierung hat seine Anfänge in England, erreicht aber auch bald den Kontinent (z.B. Schlesischer Weberaufstand 1844)
Gefordert wurden 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit und 8 Stunden Ruhe. Und heute?
We will die fighting, or live free. Down with all kings but King Ludd! (Lord Byron)
Macht kaputt was euch kaputt macht!
Belohnung für Verrat? Up yours!
Die Aufständischen vermieden zumeist menschliche Opfer. Die Antwort der Staatsgewalt war natürlich eine weit furchtbarere
Der Strumpfwirker und "Nottingham Captain" Jeremiah Brandreth wird 1817 nach Einsatz eines Agent Provocateurs wegen Anzettlung eines Aufstandes hingerichtet
Ludd, Swing, Anonymous … Hinter allen drei Pseudonymen steht gezieltes Zerstören und Sabotage von Maschinen und Technologien, die den Profit maximieren und das Wohl-ergehen der Arbeiter*innen angreifen.
Freiheit oder Tod!
Landarbeiter werden durch Maschinen ersetzt
Die Geschichte lehrt: Recht muss immer erkämpft werden
Die mit "Captain Swing" gekennzeichneten Drohbriefe entbehrten nicht so manchen ironischen Unterton
Gegenpropaganda aus dem Westminster
Moderne Ludditen und Captain Swings
Macht kaputt was euch kapuut macht, Teil 2
Fortschritt?
Ludditen im U.S.-amerikanischen Wahlkampf
Ned Ludd und Captain Swing Songs sind ständige Begleiter moderner Kunst, siehe Musik von New Model Army, Chumbawamba oder wie hier Michelle "Andrea Malzer" Shocked
Und wer woars`s? Ned Ludd? Captain Swing? Der Hofer woar`s!
Death to machines!
Ned Ludd wird vornehmlich mit dem Arbeitsproletariat in Zusammenhang gebracht, mit Captain Swing assoziiert man zuallererst die Landbevölkerung. Beiden liegen jedoch dieselben Ursachen zugrunde – die absolute soziale Notlage weiter Gesellschaftsschichten, verursacht durch die Industrielle Revolution und kapitalistische Profitmaximierung. Ein gewisser Ned Ludd, geboren als Edward Ludlam, soll 1779 in Leicester, als ihm vom Arbeitgeber Faulheit unterstellt wurde, im Zorn mit einem Hammer zwei mechanische Strickmaschinen zertrümmert haben. Diese Geräte spielen in der frühen Entwicklungsgeschichte der Industriellen Revolution eine bedeutsame Rolle. Seit dieser Tat werden Vandalen- und Sabotageakte an Strickmaschinen englandweit spaßeshalber „Luddism“ genannt. Wann und wo auch immer Strickmaschinen zerstört werden, heißt es ab nun mit ironischem Unterton „Ned Ludd did it“.
Dreißig Jahre später nimmt dieser Luddismus jedoch große Ausmaße an, aus dem einfachen Weber Edward Ludlam ist bereits die folkloristische Figur Captain, General oder gar King Ludd geworden, ein kollektives Pseudonym des „Großen Vollstreckers“ und „Wiedergutmachers“, der mit seiner „Armee“ Fabriken zerstört.
Der nicht enden wollende Krieg gegen Napoleon und die ersten ernsten Folgen der Industriellen Revolution zermürben die englischen Unter- und Mittelschichten. Durch maschinelle Fertigung steigt die Arbeitslosigkeit, während die Löhne von den Arbeitgebern nach Belieben gesenkt werden können. Facharbeiter werden zusehends überflüssig, die Kinderarbeit boomt. Deklassierung und soziale Verelendung sind die Folge, das Einkommen der Ärmsten reicht oftmals nicht einmal mehr fürs nackte Überleben. Die bis dahin ausbezahlten monetären Zuschüsse werden durch rücksichtslose Gesetzgebung gestrichen, es bleibt nur noch der Gang in die Armenhäuser. Und egal bei welcher oder überhaupt einer Kirche man Mitglied ist – das viel zu hoch angesetzte „Zehent“ wird ausnahmslos eingehoben. Es sind die Textilarbeiterinnen (Spinnerinnen, Strumpfwirkerinnen, Weberinnen, Tuchscherer*innen … vgl. „sich eine Schererei einhandeln“), die sich kollektiv als Erste gegen all das auflehnen und in Folge Maschinen im großen Stil zertrümmern. Nottingham ist 1811 die Anfangsstation, andere Städte schließen sich englandweit an. Weitere Nachwirkungen sind neben Aufständen in Frankreich und der Schweiz nicht zuletzt auch der hierzulande berühmt gewordene Schlesische Weberaufstand von 1844.
Die sogenannten „Ludditen“ Englands bekämpfen die „Freiheit der Kapitalisten“. Sie wüten diszipliniert nur gegen jene Maschinen, die ihnen die Arbeit und damit die Lebensgrundlage wegnehmen. Später wird ihnen jedoch von prominenter Stelle, beispielsweise von den gerne allwissenden Genossen Marx und Engels, sogar eine ausgesprochen prinzipielle Technikfeindlichkeit nachgesagt. Auch die Sozialdemokratie und liberale Strömungen sehen in den Maschinenstürmen reaktionäre Kräfte wirken. Ein Luddit zu sein bedeutet heute noch im englischen Sprachgebrauch so etwas wie ein technikablehnender Hinterwäldler zu sein. Die Forschung ist mittlerweile allerdings zu einem anderen Ergebnis bei der Betrachtung der damaligen Unruhen gelangt. Die Ludditen seien keine „instinktgeladenen, naiven, randalierenden Verbrecherbanden, die nur in den Maschinen die Ursachen ihres Elends sahen“ gewesen, sondern in solidarischer Gemeinschaft gegen die neu entstandenen Wirtschaftsbeziehungen aufgetreten, um gezielt Veränderungen zu bewirken. Eine andere Art, sich Gehör zu verschaffen und Mindestrechte zu fordern, bleibt historisch gesehen praktisch unmöglich.
Die klandestinen Aufständischen arbeiten hocheffizient in lokal organisierten Gruppen, die miteinander in enger Verbindung stehen, jedoch nicht zentral gesteuert sind. Geübt wird nächtens in unwegsamem Gebiet, z.B. in Mooren und Sümpfen. Neben Fabriken und dem Privateigentum der Fabrikanten werden auch die Häuser der Richter, die sie verfolgen, und der Lebensmittelhändler, die ihre Notlage ausnutzen, angegriffen. Gegen Menschen wird in der Regel keine Gewalt angewendet, die Gefährlichkeit der Aufständischen wird von den Behörden übertrieben dargestellt. Und England wäre nicht England, wenn der Zorn über all das Unrecht nicht mit Augenzwinkern und Style ausgedrückt werden würde. So signiert Ned Ludd höchstpersönlich seine Briefe in Anlehnung an die Robin Hood Legende mit z.B. „Büro Ned Ludd, Sherwood Forest“. Die ganze Bewegung bekommt einen unwiderstehlichen Charme, Ned Ludd wird „bigger than life“.
Erst 1814 gelingt der englischen Regierung (allein durch das Wahlrecht von nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung legitimiert) durch rigide Maßnahmen die weitgehende „Befriedung“ des Landes. Maschinenstürmerei und Sabotage gelten ab 1812 als Kapitalverbrechen, es droht die Todesstrafe. 12.000 Soldaten schießen den Frieden herbei. Massenprozessen folgen Exekutionen und Deportationen nach Australien. Einer der wenigen prominenten Fürsprecher der Ludditen und Gegner des brutalen Vorgehens ist der Dichter Lord Byron, der im britischen Parlament, dem „House of Lords“, einen Sitz hat. In seinem 1816 veröffentlichten Gedicht „Song for the Luddites“ schreibt er unter anderem „We will die fighting, or live free. And down with all kings but King Ludd!“.
Als ein zunächst letztes Aufflackern gilt eine 1817 wieder von Nottingham ausgehende Revolte, die sich zum Ziel setzt, ein für alle mal die Armut zu beenden. Beendet wird jedoch mit Hilfe geschickt eingeschleuster Agents Provocateurs lediglich das Leben von drei Menschen, dem „Nottingham Captain“ und Strumpfmacher Jeremiah Brandreth und seinen zwei engsten Kumpanen Isaac Ludlam und William Turner.
1830 fegt ein ähnlich gearteter Sturm über England. Diesmal sind die Landarbeiter*innen an der Reihe, die für ihre Existenz bedrohlichen industriellen Neuentdeckungen zu zerstören. Es ist vor allem die Erfindung der Dreschmaschine, die den Leuten die Lebensgrundlage entzieht. Getreideschober werden niedergebrannt, Erntemaschinen unbrauchbar gemacht und sogar Fabriken, die Dreschmaschinen herstellen, angegriffen. Die Besitzenden werden dort getroffen, wo es ihnen am meisten weh tut – bei ihrem Hab und Gut, bei den Investitionen. Die Drohbriefe an Großfarmer und Grundbesitzer werden mit „Captain Swing“ oder nur „Swing“ unterschrieben. Woher dieser Name kommt, ist nicht gesichert. Außer, dass eine Person dieses Namens nicht existiert, diese der ganzen Bewegung aber einigenden Charakter und Identität gibt.
Die Swing Aufstände der 1830er Jahre unterscheiden sich von jenen der Ludditen zu Beginn des Jahrhunderts. Sie sind weniger gut organisiert und von einer noch elenderen Gesellschaftsschicht getragen. Eigentlich sind diese Unruhen einfache Hungerrevolten. Das ursprünglich bis ins 18. Jahrhundert von der Bevölkerung gemeinsam für Ackerbau und Viehzucht genutzte Land wird nach und nach eingezäunt und dem Großgrundbesitz überlassen. Die Menschen müssen nun statt für sich selbst zu arbeiten, Lohnempfänger*innen der Reichen werden. Durch den Einsatz der Dreschmaschinen werden zudem nun viele arbeitslos, jene, die arbeiten, werden mit einem Hungerlohn abgespeist. Die Arbeitsverträge werden immer kürzer, aus einem Jahr werden bald nur noch Monate und schließlich Wochen oder Tage, an denen für viel zu wenig geschuftet werden muss. Im Winter ist bald gar keine Lohnarbeit mehr zu finden.
Genau wie jene der Ludditen zielen die Swing Aufstände nicht auf Leib und Leben der Besitzenden. Der Slogan „Brot oder Blut“ wird nur rhetorisch verwendet. Die einzige während der Riots umgekommene Person ist dementsprechend ein Aufständischer, der erschossen wird. 1830 / 31 werden über 2000 Personen angeklagt, dabei werden 252 Todesurteile ausgesprochen und 481 Menschen in die Strafkolonien Australiens deportiert. Moderate Stimmen werden laut und fordern einen sozialpolitischen Wandel. Der amtierende britische Premierminister Duke of Wellington (Waterloo!) widersetzt sich allen Änderungen, weil er die Verfassung schlicht und einfach für ohnehin perfekt hält. Sein Londoner Sitz wird daraufhin von einem Mob attackiert, seine Regierung Ende 1830 nach einer Abstimmung gestürzt.
Die Ideen Ned Ludds und Captain Swings leben natürlich auch heute noch fort. So existieren antiautoritäre, luddistische Strukturen wie die „Adbusters Media Foundation“, eine konsumkritische Organisation, und weitere Vereinigungen mit passivem Widerstandscharakter, die den Auswirkungen moderner Technologien ablehnend gegenüber stehen, die lieber den Menschen, seine Persönlichkeit und seine Bedürfnisse im Fokus sehen als den sogenannten Fortschritt, der die Entscheidungen des Lebens weitgehend an Maschinen delegiert. Auch in Kunst und Kultur wirken Captain Swing und die Ludditen beständig fort, so z.B. in Liedern von Michelle Shocked, Chumbawamba oder der New Model Army, in Ernst Tollers Drama „Die Maschinenstürmer“, oder als eine Diebesgilde in der Scheibenwelt Terry Pratchetts.