Witwe Cheng
*1775 Canton (China) †1844 Canton (China)
Ching Shih, auch Ching Yih Saou oder zumeist Cheng I Sao ‒ „Frau des Cheng I“ ‒ genannt, stammt aus Guangzhou (westliches Exonym: Kanton) und arbeitet schon früh als Prostituierte. Ihr späterer Mann, der Piratenführer Cheng I, dessen Familie nachweislich seit 1624 das Piratengeschehen in diesen Gewässern bestimmt, lässt sie 1801 als 26jährige gezielt von einem der schwimmenden Bordelle rauben. Sie heiraten kurzerhand unter für Ching Shih sehr vorteilhaften Bedingungen. In neuerer Zeit bekommt sie auch den Beinamen „Dragon Lady of the South China Sea“.
Shirt
Galerie
Outlaw Legend Witwe Cheng
Tusche
Im Kampf
Outlaw Legend Witwe Cheng mit Schwert
Schicke Zeichnung
Die beisst dir sicher auch ein Ohr ab
Wanted
Piratendschunke
Piratendschunken in Aktion
Piratinnen im südchinesischen Meer
Offended honour is not washed by words
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erreicht die Piraterie im südchinesischen Meer den Siedepunkt. Sie steht in direkter Verbindung mit einer Lebensweise auf schwimmenden Dörfern, welcher die lokale Bevölkerung seit jeher nachgeht. Frauen nehmen in dieser Gesellschaft generell keine untergeordnete Rolle ein und betreiben gleichberechtigt Handel und Fischerei. Die prall gefüllten europäischen Handelsschiffe ziehen seit Jahrhunderten die Aufmerksamkeit der ärmlichen Bevölkerung auf sich, Kaperungen dieser und anderer Transporte gehören zur fixen Einnahmequelle. Und ganz und gar nicht ungewöhnlich ist es, dass manche Piratenschiffe auch von Frauen befehligt werden. Gemeinsam mit ihrem Mann Cheng I erschafft Ching Shih die „Red Flag Fleet“, eine Seeräuberallianz, welche unangefochten die Herrschaft in den südchinesischen Küstengewässern erlangt. Dank Ching Shihs Verhandlungs- und Einschüchterungstaktik können die bis dato verfeindeten Piratenflotten unter ihr eigenes Kommando gestellt werden. Korea, Vietnam, Malaysien und natürlich China selbst, samt dem Ladesinneren, werden zur Zielscheibe groß angelegter räuberischer Handlungen. Im Jahr 1807 stirbt Cheng I vor der Küste Vietnams. Von nun an steht dieser Bund unter dem Oberbefehl der nunmehrigen „Witwe Cheng“. Als erste Amtshandlung kürt sie den einst von ihrem Mann gekidnappten und adoptierten Fischersohn Chang Pao (1786-1822) zum Oberbefehlshaber ihres Elitegeschwaders. Wochen später ist Chang Pao bereits ihr Liebhaber, Jahre später heiraten sie. Ching Shih nimmt in Folge die Rolle der Oberbefehlshaberin ein, während Chang Pao die täglichen Operationen leitet. Nebst gewohnten Überfällen und Plünderungen kommen nun weitere lohnende Tätigkeiten wie Erpressung und Schutzgeldzahlung hinzu. Gemeinsam schaffen die beiden auch einen revolutionären Verhaltenskodex, welcher jedoch auch drastische Strafen vorsieht. Bei Befehlsverweigerung oder bei Diebstahl an der Gemeinschaft wird der Kopf abgeschlagen, bei Desertation oder dem Fernbleiben vom Dienst die Ohren abgeschnitten, beim Unterschlagen oder dem Verstecken von Beute droht die Peitsche, im Wiederholungsfall der Tod. Daneben ist auch der Umgang mit weiblichen Gefangenen strikt geregelt. Auf Vergewaltigung und Gewaltanwendung an Frauen steht die Todesstrafe. Im Jahr 1809, auf dem Gipfel ihrer Macht, besteht die Flotte des Piratenbundes aus 200 Dschunken, welche über jeweils 20 bis 30 Geschütze verfügen und bis zu 400 Menschen aufnehmen können, und aus weiteren 600 bis 800 Küstenwasserfahrzeugen. Die Kriegsflotten vieler Staaten können bei diesem Anblick vor Neid erblassen. Zuweilen kann allein Ching Shih mit mehreren hundert Schiffen in die Schlacht ziehen. Die zahlreichen Flussdschunken, welche die seichten Oberläufe der Gewässer unsicher machen können um Bauernhöfe und Dörfer zu plündern, welche die geforderten Schutzgelder nicht bezahlen, bilden das verpflegungstechnische Rückgrat der Piratenallianz. Zumeist aber, und das ist eine von Chings Meisterleistungen, wird die Lokalbevölkerung in das wirtschaftliche Leben mit eingebunden. Das „System Ching“ geht so weit, dass sogar ein Großteil der Beute nicht verprasst, sondern in Lagerhäusern untergebracht und von dort aus das gesamte Netzwerk am Land verpflegt wird. So sichert sich Ching die nötige Unterstützung der Bevölkerung, die ohnehin Vorbehalte hat, mit Kaiserlichen oder gar Europäern gemeinsame Sache zu machen. Drei Jahre lang leisten die Piraten erfolgreich Widerstand gegen staatliche Interventionen, die Piratenflotten zu zerschlagen. Zu Beginn des Jahres 1808 werden sie von Li, dem militärischen Oberbefehlshaber der Provinz Chekiang angegriffen. Li wird dabei vom feindlichen Geschützfeuer die Gurgel in Stücke gerissen – das Seegemetzel endet mit einem eindeutigen Triumph der Piraten. Die Matrosen des Kaisers können zwischen Tod und dem Piratenleben wählen. Die meisten der gut ausgerüsteten Kriegsschiffe fallen Ching Shih in die Hände. Doch schon 1810 segnet die Herrschaft der Piratenführerin das Zeitliche. Chinesische Beamte ziehen unter Beihilfe modernster britischer, holländischer und portugiesischer Kriegsschiffe eine immense Streitmacht zusammen und setzen Ching so unter Druck, dass diese ein Amnestieangebot annimmt. Sie erkennt die Zeichen der Zeit nur zu gut, denn der Zusammenhalt des Piratenbundes ist nach all den Erfolgen brüchig geworden - zu viele wollen die erste Geige spielen oder einfach unabhängig von ihr handeln. Die Zeit der direkten Konfrontation gegen eine, inzwischen von europäischen Mächten deutlich verstärkte, staatliche Flotte kann unter diesen Bedingungen auf lange Sicht nur ein Rückzugsgefecht werden. Am Höhepunkt ihrer Macht kann Ching Shih nochmals das Geschehen diktieren und aus einer Position der Stärke verhandeln. Um optimale Vertragsbedingungen auszuhandeln, zieht sie gemeinsam mit einer Gruppe von Frauen und Kindern unbewaffnet nach Guangzhou, wo sie zur Überraschung aller am 18. April 1810 eintrifft und dem Generalgouverneur einen kurzen und heftigen Besuch abstattet. Ching ist sich ihrer guten Verhandlungsposition bewusst, der Gegenseite ist wohl bekannt, was für ein Unheil ihre Geschwader im Küstengebiet anrichten können. So kommt es zu folgender Übereinkunft: Die Dschunken und die Waffen müssen von den Piraten in die Hände der Regierung abgegeben werden, die Beute hingegen dürfen sie behalten. Zudem können sie freiwillig der Armee beitreten. Am 20. April 1810 ergeben sich daraufhin 17.318 Seeräuber, 226 Dschunken gehen in den Besitz der Behörden über. Am Ende werden jedoch ca. 350 besonders berüchtigte Piraten von der Amnestie ausgeschlossen, 126 davon erhängt oder enthauptet und von 14 weiteren vor den Stadttoren Macaus die Köpfe zur Abschreckung aufgespießt. Unklar bleibt, ob Ching dies hätte verhindern können oder ob sie einige ihrer Weggefährten opfert. Ching lässt sich gemeinsam mit Chang Pao zunächst in Guangzhou und später in Fukein nieder und gebärt dort einen Sohn. Chang Pao wird Oberst und stirbt 1822, woraufhin Ching als wohlhabende Frau in ihre Heimatstadt Guangzhou zurückkehrt, ein Spielcasino und Bordell eröffnet und im Jahr 1844 als 69jährige dahinscheidet. Die zeitgenössische Quellenlage ist äußerst spärlich, wobei zudem die Gegebenheiten aus der Perspektive der chinesischen Verwaltung bzw. westlicher Historiker beschrieben werden. Selbstdarstellungen von piratischer Seite fehlen ganz, so dass sich nur Mutmaßungen anstellen lassen können, wie und an welchen Orten der Piratenbund z.T. grausam vorgegangen ist. Möglicherweise sollen auch militärische Interventionen eine Legitimation finden, indem das Piratenleben verteufelt wird, doch wäre es ebenfalls ein Zirkelschluss, das Piratenleben zu romantisieren. Fest steht, dass Ching drei Jahre lang einen der mächtigsten Piratenbünde der Menschheitsgeschichte anführte, 35jährig mit fetter Beute davonkam und den Rest ihres Lebens in gewohnter Weise nach ihren eigenen Wünschen gestalten konnte.